(Quelle: Dynamo Dresden)
Sommer 2009. Im bulgarischen Weliko Tarnowo versuche ich dem etwa 35-jährigen Besitzer der kleinen Pension zu erklären, woher ich komme: »Dresden.« – »Ah – Dynamo Dresden!«, war die strahlende Antwort.
Ähnliches lief einige Tage später im albanischen Shëngjin ab – »Oh, Dynamo Dresden!« rief der junge Mann, diesmal keine dreißig, spontan aus, als ich seine Frage nach meiner Heimatstadt beantwortete.
Dresden ist eine kleine Stadt, aber auch München ist in Amerika, Südafrika oder Asien nicht wegen der Pinakotheken und der Oper bekannt, sondern – ob das dem Kunstliebhaber nun gefällt oder nicht – wegen des Hofbräuhauses und Bayern München.
Wenn man es in Sachsens Kleinresidenz ernst meint mit einem zukunftsorientierten Dresdner Selbstverständnis und einem schlüssigen Marketingkonzept, sollte man Dynamo Dresden nicht wie ein ungeliebtes Stiefkind behandeln, dem man unwillig und unter Drohungen aus der Patsche hilft. Man sollte den Verein ernst nehmen, dessen Möglichkeiten positiv sehen, dessen Arbeit wohlwollend aktiv mitgestalten und unterstützen sowie dessen Potenzial als weltweiten Dresden-Botschafter erkennen und nutzen.
Doch zunächst gedanklich zwei Jahre zurück. Die Dynamos hatten 2009 – trotz damals schlechter Platzierung – mit etwa 13.500 den besten Zuschauerdurchschnitt in der 3. Liga; mit diesem Wert hätten sie in der 2. Bundesliga fast einen Mittelplatz in der Zuschauerstatistik belegen können. Das zeugt von der hohen Verbundenheit der Dresdner mit ihrer Mannschaft. Und es zeigt, welche Potenzen Dynamo auf dem erwünschten Weg nach oben hat, die auch zugunsten der Stadt genutzt werden sollten.
Es schien absurd, dass trotz dieser Rekordwerte die Existenz der Profimannschaft immer wieder gefährdet war – weil die Stadt Dresden dem „eigenen“ Verein, der sich zu einem international erfolgreichen Dresden-Botschafter hätte entwickeln können, die Luft zum Atmen abdrückte, denn für die Nutzung des Dynamo-Stadions (mittlerweile »Glücksgas-Stadion«) wird eine Miete verlangt, die mehr als zehnmal so hoch ist wie der Durchschnitt in der 3. Liga (Stand 2009 – Angaben nach Stadionwelt).
Die damals vom Finanzbürgermeister Vorjohann aufgemachte Forderung, man müsse die durch das neue Stadion ermöglichten Mehreinnahmen dagegen rechnen, erinnert an realsozialistische Wirtschaftspolitik. Mehreinnahmen waren in der DDR nach oben abzuführen und konnten nicht für eigene Investitionen genutzt werden. Die Betriebe konnten strampeln wie sie wollten, eine reale Chance hatten sie nicht.
Dass solche Mehreinnahmen Dynamo-geboren sind, ist allein schon angesichts der großen Zuschauerzahlen klar. Und dass Dynamo mehr Einnahmen dringend benötigt, vor allem für Investitionen im sportlichen Bereich, wird gerade jetzt deutlich, da – wie es aussieht – kaum ein zweitligatauglicher Spieler bei Dynamo gehalten werden kann; zum jetzigen Zeitpunkt (4. März 2011) ist Strifler bereits weg, und Hübener, Esswein, Schahin, Jungwirth und Fiél sind wohl kaum zu halten. Das hieße: Die Tretmühle der dritten Liga ginge weiter – für alle Beteiligten, auch für die Stadt, eine Sisyphos-Arbeit und ein finanzieller Balanceakt. Aber erst wenn Dynamo konstant zum vorderen Drittel der 1. Bundesliga gehört, kann der Verein seine Dresden-Botschafter-Funktion sogar weltweit erfüllen, gleichzeitig aber eine Stadionmiete wie im Fußball-Oberhaus üblich zahlen – beides zugunsten der Stadt.
Unterdessen hat sich Anfang März 2011 etwas getan: Die Stadt Dresden will für die kommenden zwei Spieljahre jährlich 3,29 Millionen Euro zu den Mietkosten für das Glücksgas-Stadion »zuschießen«. Das ist jährlich eine Million mehr als bisher, was für Dynamo Entwicklungsmöglichkeiten schafft, die nun verantwortungsvoll und zügig genutzt werden müssen.
Trotz dieser positiven Nachricht bleiben Zweifel: Noch immer klingt in den Diskussionen die Auffassung durch, hier werde einem unseriösen Krawallklub aus der selbstverschuldeten Patsche geholfen, und dies ungern und wegen der vorhandenen Zwänge nur notgedrungen.
Ginge es nach einigen Stadtpolitikern, würden Dresdner, in Albanien, Bulgarien, Italien, Südafrika oder den USA nach ihrem Woher befragt, sogar 2020 noch die niederschmetternde Gegenfrage zur Antwort erhalten: »Dresden – what fucking jerkwater town is it?« Und ein paar Freizeitkicker mit dem D auf der Brust würden in der Stadtliga dem Ball hinterher rennen.
Juni 2020. Hotel »Malibran« in Venedig, Hotel »Bairro Alto« Lissabon, beim Ökobauernhof Abram auf dem slowenischen Nanos, im Gastraum des Valtelehofs im Südtiroler Passeiertal, im Café »Mondial« in Tirana, im »Magnaura«-Café in Istanbul, ja sogar in der Pförtnerloge eines Londoner Parkhauses – überall flackern und leuchten auf den Fernsehbildschirmen im Sportprogramm ein und dieselben Bilder: Man sieht den Dresdner Altmarkt, vollgestopft mit zehntausenden jubelnden Menschen, im Hintergrund der Balkon des Kulturpalastes, auf dem die Dynamo-Spieler den Meisterpott hochhalten, und der 74-jährige Guus Hiddink ruft nach seinem allerletzten Spiel als Trainer mit sich vor Freude überschlagender Stimme ins Mikrofon: »Heute sind wir die Besten von Deutschland, und nächstes Jahr – vielleicht – von ganz Europa!« Dann geht seine Stimme im Jubellärm unter.
Mathias Bäumel
sss
Montag, 7. März 2011
Dynamo als Dresden-Botschafter, nicht als unseriösen Krawall-Klub sehen
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