Dresden: Die Waldschlösschenbrücke. (Foto: M. B.)
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Montag, 30. April 2018

Doro Meyer: »Portraits erfordern Menschenkenntnis, Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen.«

Die Fotografin Doro Meyer ist keine Studierte. Und doch hat sie studiert – im doppelten und übertragenen Sinne.
Einerseits als Schülerin der Abendschule der Kunsthochschule von 1974 – 1977. Auch wenn ihr damals schnell klar wurde, dass für sie selbst das malerische und zeichnerische Porträtieren von Menschen kein, auch kein beruflicher Weg sein würde, lernte sie doch sehr gründlich das Hinsehen, Fragen der Komposition, des Bildaufbaues, des Kontrastes von Licht und Schatten, der Materialität. Sie lernte den Wert von Geduld und gewann die Erkenntnis, dass man sein Handwerk beherrschen muss. Letzteres ist heutzutage unter den Personen, die sich als Porträtfotografen fühlen, keinesfalls selbstverständlich.

Doro Meyer sagt rückblickend über sich selbst: »Bei meiner Ausbildung an der Abendschule der Kunsthochschule in Dresden musste ich erkennen, dass das – malerische oder grafische – Porträtieren von Menschen nicht meins war. Zuviel sah ich den Gesichtern, was ich so einfach nicht wiedergeben konnte.«

Andererseits »studierte« sie, wie man durchaus formulieren kann, den Menschen, nimmt sich für ihre (per Foto) zu Porträtierenden Zeit. Selbst sagt sie: »Portraits erfordern Menschenkenntnis, Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen.«
So sei es schon vorgekommen, dass sie einen Menschen über die Zeitspanne von vier Jahren beobachtete, ehe sie ihn ansprach und um ein Porträt bat.
Andere Personen kennt sie schon viele Jahre oder gar Jahrzehnte, hier muss sie nicht um Vertrauen bitten. Fotografieren, so sagt sie, sei ein Aufeinander-Einlassen.

Doro Meyer lässt, wenn sie sich zu einem Fototermin verabredet, dem Gegenüber die Wahl des Ortes und der Zeit. »Er muss sich wohlfühlen, nicht als Ausstellungsstück vorkommen.« Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Doro Meyers Porträtfotografie nichts mit dem schnellen und handwerklich fragwürdigen Herunterknipsen einer ganzen Fotoserie gemein hat.
Diese Ausstellung belegt die Qualität der Herangehensweise Doro Meyers. Wir sehen Bilder voller Witz, Nachdenklichkeit, Sympathie und Würde – allesamt so fotografiert, dass sie einmalig, anziehend und auch spannend wirken; häufig mag den Blick gar nicht vom Foto lösen.

Doro Meyers Statement: »Gute Fotos haben immer etwas mit Respekt zu tun.«
Fotografen, die einen besonderen Eindruck bei ihr hinterlassen haben, ohne dass sie, wie sie selbst sagt, je das Bedürfnis verspürte sie zu kopieren, sind Josef Sudek, Evelyn Richter, aber auch Charlotte Rudolph.

Was die benutzte Technik anbelangt, scheint Doro Meyer eine »Gestrige« zu sein, denn nach einem Ausflug in die Digitalfotografie ist sie ganz überwiegend in die Analogwelt zurückgekehrt.
Aber die Formulierung »Gestrige« ist eben falsch! Der Begriff muss durch das Wort »Gründliche« ersetzt werden! Sie selbst betont: »Die Digitalfotografie verleitet, eine Masse an Bildern zu produzieren, um anschließend, wenn überhaupt vorhanden, ein gutes Foto auswählen zu können.«

Wer konsequent darüber nachdenkt, wird finden: Die Arbeit des Fotografen im Digitalbereich ist eigentlich die eines Fotoredakteurs, der aus einem Haufen angebotener Fotos das bestgeeignete heraussucht; dabei könnten die zur Verfügung stehenden Fotos durchaus einer automatisierten Video-Sequenz entstammen, und das Schöpferische bezieht sich auf die Auswahl, kaum jedoch auf die eigentliche Herstellung eines Bildes.
Genau das passiert auch in Zeitungsredaktionen, bei denen der eigentliche Fotograf zunehmend seltener darauf Einfluss nimmt, welches seiner vielen Einzelfotos es auf die jeweilige Zeitungsseite schafft. Für Künstler wie Doro Meyer jedoch liegt das Schöpferische im Hinschauen, sich Entscheiden und dadurch Gestalten des Einzelbildes.
Es geht um das riskante Bekenntnis zum Moment.
Heutzutage mehr denn je, denn Filme sind ungleich teurer als Speicherchips.

Wenn ich ehrlich bin: Diese Arbeitsweise wäre digital ebenso möglich – wenn man sich sehr diszipliniert. Das ist Doro Meyer bewusst und sie sieht den Zwang zur Disziplinierung als Herausforderung, der sich andere Fotografen vielleicht nicht stellen mögen.

Wer sich hier in dieser Ausstellung umschaut, dem fällt auf, dass die Fotos weder mit Jahreszahlen noch mit den Namen der Porträtierten ausgerüstet sind. Doro Meyer dazu: »Die ausgestellten Fotos sind für mich nie Mittel zum Zweck. Deshalb tragen die Bilder auch keine Unterschriften. Frau Schmitt von nebenan mit ihrer traurigen Lebensgeschichte ist mir genauso wichtig wie ein Mensch, der auf der Welle der Anerkennung reiten darf.«

Nie Mittel zum Zweck – die Fotos sollen ganz bewusst ohne die Kenntnis der Namen der abgebildeten Prominenten wirken und unabhängig davon, ob sie öffentlich bekannte oder unbekannte Personen zeigen, das rein Individuelle der Abgebildeten verdeutlichen.
Insofern missbraucht die Fotografin nicht den Prominenten-Status einiger ihrer Modelle zugunsten eigener Statusvergrößerung (»Mensch! Wen die alles kennt!«), sondern Doro Meyer rückt auf diese Weise ihr eigenes Ego ganz in den Hintergrund – dienende Fotos sind das brillante Ergebnis, Fotos im Dienste der Porträtierten, aber auch im Dienste des Publikums, das angehalten wird, einiges an Üblichkeiten kritisch zu überdenken.

M. B.

(Dieser Text entstand im Zusammenhang mit der Foto-Ausstellung »Spiegelbilder«, die Doro Meyer im Schloss Klippenstein vom 12. Oktober 2017 bis 10. Dezember 2017 zeigte.)