Dresden: Die Waldschlösschenbrücke. (Foto: M. B.)
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Donnerstag, 11. Dezember 2014

Europa beruht auf dem Miteinander der Kulturen verschiedener Religionen und der Aufklärung

In Dresden marschieren die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (PEGIDA) – und unsere Gesellschaft der »Zeichensetzer« marschiert dagegen.
Die große Zahl der Demonstranten auf Seiten der PEGIDA kommt nicht aus dem Nichts. Einer der Faktoren, die dafür den Nährboden bereiteten, erwuchs aus den gebetsmühlenartig wiederholten, einseitigen Gemeinplätzen aus den Reihen unserer Politik.

Immer wieder und seit vielen Jahren wird von großen Teilen unserer Politik behauptet, unsere Kultur erwachse aus den oder habe ihre Wurzeln in den Werten des »christlichen Abendlandes«. Dabei wurde regelmäßig vergessen zu benennen, dass unsere europäische Kultur im Laufe ihrer Geschichte entscheidend mitgeprägt wurde durch außerordentliche Leistungen aus dem Kulturbereich des Islam, so besonders in Wissenschaft, Medizin, Technik, Politik, Literatur und Kunst. Dabei spielte der Islam nicht nur als Schöpfer eigener Leistungen eine Rolle, sondern auch als Erneuerer alter antiker Kulturleistungen und Überbringer antiker Werte bis in die europäische Renaissance-Zeit hinein.

Zudem bleibt bei diesen »christlichen Abendländlern« regelmäßig unerwähnt, dass eine ganze Reihe europäischer Kulturerrungenschaften zwar grundsätzlichen christlichen Haltungen entsprechen, aber real mühevoll im Kampf gegen die Kirche errungen werden mussten – als Beispiele sollen hier nur kurz die Erfolge in den Naturwissenschaften (Beispiel-Stichwort Galileo Galilei) und die Einführung der Schulpflicht angeführt werden.

Natürlich sollte man auch danach fragen, woran es lag, dass mit Aufkommen des politischen Islam schon im frühen Mittelalter eigene Kulturleistungen wieder zerstört wurden und der Islam als kultureller Innovator an Bedeutung verlor und später sogar zum Innovationshemmnis wurde.
Ebenso jedoch steht die Frage, welche Rolle die Verkirchlichung der christlichen Religion für den kulturellen Fortschritt und für kriegerische Aktionen unter dem Etikett des Religiösen spielte – immerhin waren die Kreuzzüge unter dem Dach der Römischen Kirche die ersten folgenreichen Kriegszüge im Namen einer Religion.

Insgesamt ist unsere Öffentlichkeit immer wieder den einseitigen, politisch motivierten Vorstellungen vom kulturell »wert-vollen« christlichen Abendland ausgesetzt, dem entgegen die aus dem Morgenland kommende kulturelle Bedrohung stehe.

PEGIDA hat also – ideengeschichtlich – auch einen hausgemachten, selbstverständlich scheinenden Nährboden.

Wo aber bleiben Versuche, diese ideologischen Verzerrungen zu korrigieren und verständlich darzustellen, dass unsere europäische Kultur auf einem Miteinander-Verflochtensein verschiedener Religionen und deren Leistungen, auf der Aufklärung sowie auf dem ständigen Kampf gegen die weltlichen Machtansprüche religiöser Institutionen beruht?

Viele Informationen, die die PEGIDA-Argumente widerlegen, sind den Menschen bekannt oder könnten relativ leicht bekannt sein, und dennoch werden diese Informationen ignoriert.

Beispiele: Der extrem geringe Ausländeranteil in Sachsen ist kein Geheimnis (laut Bundeszentrale für politische Bildung 2,8 Prozent, Moslems – geschätzt – vielleicht 0,5 Prozent) und sollte zur Erkenntnis führen, dass von der Gefahr einer »Islamisierung« absolut nicht die Rede sein kann.
Des Weiteren ist der Anteil der Straftaten, die durch Asylbewerber begangen werden, sehr klein. Dem Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz zufolge ist der Anteil der von Asylbewerbern innerhalb der Polizeidirektion Leipzig begangenen Straftaten 0,5 Prozent.

Auch dumm-dreiste Aussagen sollen zur Begründung für eine »drohende Islamisierung« herhalten. So war am 10. Dezember 2014 nachmittags im MDR-Figaro die Stimme eines Mannes mit folgenden empörten Worten zu hören: »Meine Tochter kennt eine Moschee, aber eine Kirche kennt sie nicht! Das kann so nicht weitergehen.« Offenbar wollte damit der Mann seine Parteinahme für PEGIDA begründen. Seiner Tochter längst mal selbst eine Kirche zu zeigen, hielt er bis dahin offensichtlich nicht für nötig.

All das legt die Vermutung nahe, dass die Leute keineswegs politik-, wohl aber sehr politikerverdrossen sind. Sie wollen, so ist zu vermuten, nicht den »Ausländern«, den Moslems gar, sondern den »Oberen«, den »Etablierte« mit den Demonstrationen »eine auswischen«. Das riecht nach einem Protestverhalten, das die »Ausländer« missbraucht, um sich gegen das Establishment Luft zu machen.

In Sachen Flüchtlingen sollte eines nicht vergessen werden:
Ein großer Teil von ihnen flüchtete vor den Gewalt-Exzessen der Krieger des Islamischen Staates, einer Terrorbewegung, die vom NATO-Partner Türkei – bei faktischer Duldung der türkischen Politik durch die NATO-Staaten (die sind ja einflussreiche Institutionen des »christlichen Abendlandes«) – passiv unterstützt wird.

M. B.