Dresden: Die Waldschlösschenbrücke. (Foto: M. B.)
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Freitag, 5. Februar 2016

Wir-Gefühl innerhalb der Dresdner Kunstszene kann Gefahren in sich bergen


Selbstverständlich ist es aller Ehren wert, wenn eine ambitionierte Hobby-Fotografin sich Dresdner Künstlern widmen will. Und es spricht für das Projekt, wenn andere ihr dabei helfen, materiell und auch ideell. Schließlich ist es ein großer Glücksfall, wenn diese Hilfe auch dazu führt, dass ein solch gewichtiges Buch herausgegeben werden kann.


Der kürzlich veröffentlichte dicke Fotoband »Dresdner Künstler im Blick – Porträtfotografie Gabriele Seitz« ist es durchaus wert, beachtet und diskutiert zu werden.

Das Buch ist eine Fleißarbeit. Der Besuch von 207 Künstlern in deren Ateliers, das Organisieren dieser Termine, das Fotografieren und schließlich das Beschaffen und redaktionelle Bearbeiten der dazugehörigen Texte (meist, aber nicht nur von Heinz Weißflog) sind ein gehöriges Stück Arbeit. Die Fotografin selbst gibt an, bei diesem Projekt rund 18.000 Kilometer »verfahren« zu haben! Herausgekommen ist dabei vor allem ein gut gefülltes Kompendium von Künstlern aus Dresden und der Region – Maler, Grafiker und Plastiker.

Aber das Buch ist auch Zeugnis eines Dilettantismus. Zwar beseelt von ihrer gefundenen Aufgabe, lässt Gabriele Seitz dennoch nicht selten fotografische Qualität vermissen, und dies auf zwei Ebenen.

Einerseits fallen auf vielen Seiten immer wieder handwerkliche Schwächen ins Auge. Fotos wirken unscharf, ihr Fokus liegt manchmal knapp daneben oder betont Nebensächliches (zum Beispiel Tafeln 61, 71, 111, 235). Der Umgang mit dem Licht ist zum Teil fragwürdig, er lässt Gesichter durch Schatten dunkel »einsuppen« und aus unerfindlichen Gründen mit Hintergründen verschwimmen (Tafel 60, 146, 157). Wer, wie Gabriele Seitz, ausschließlich mit dem vorgefundenen Naturlicht arbeiten möchte, sollte dies auch können. Überhaupt ist die Arbeit mit dem Hintergrund in einer Reihe von Fällen ungeschickt, das Verhältnis von Hintergrund-Mustern und Vordergrund-Gesichtern problematisch. Es wirkte wie eine schale Ausrede, wenn nun an dieser Stelle entgegnet würde, dies seien keine handwerklichen Mängel, sondern Insignien einer besonderen künstlerischen Schöpferkraft.

Andererseits scheint sich Gabriele Seitz mit ihrem Mammut-Projekt ein Eigentor geschossen zu haben, denn viele – natürlich nicht alle – Fotos zeugen davon, dass die Fotografin den Menschen und Künstler, den sie porträtieren wollte, nicht erfasst, nicht getroffen, sich nicht in ihn eingefühlt hat. Wie auch bei dem Zeitdruck?

Sicher ist es zu großen Teilen Sache der Fotografin selbst, wie sie die zu porträtierende Person empfindet und wie sie sie schließlich darstellt. Aber wenn eine der großartigsten und künstlerisch einflussreichsten Fotografinnen der deutschen Fotogeschichte dargestellt wird als handele es sich um einen Schnappschuss aus einer Irrenanstalt und damit vor allem um eine geistig verwirrte Person, ist wohl etwas schiefgelaufen.

Schließlich ist das Buch eines der Eitelkeit. Nach Erscheinen des Folianten hat eine ganze Reihe der abgebildeten Künstler das Ergebnis hinter vorgehaltener Hand beklagt. Sie seien nicht gut getroffen und unglücklich dargestellt worden, es sei alles Husch-husch gegangen. Man hörte einzelne Künstler entnervt stöhnen: »Diese Frau kommt mir nicht nochmal ins Atelier.«
Doch das ist selbstgemachtes Leid. Die unzufriedenen Porträtierten hätten einfach sofort kritisch eingreifen und sich die Fotos vorlegen lassen sollen. Aber das hätte ja dann in einigen Fällen bedeutet, dass sie in dem Kompendium Dresdner Künstler fehlen würden ... Eitelkeit siegt manchmal über Qualität. Lächelnd vorgetragene Toleranz (»Jeder soll sein Zeug in Ruhe machen dürfen, wie er will ...«) scheint eine Variation davon zu sein.
Und dieses Credo gilt vom Grundsatz her zu Recht. Nicht nur für die porträtierten Künstler, sondern auch für die Fotografin, die selbstverständlich ihr Buch veröffentlichen kann mit genau den Bildern, die sie selbst für veröffentlichungswert hält. Zumindest, so lange ein solches Werk nicht öffentlich gefördert ist. Im Gegenzug sollte damit aber auch ehrlich umgegangen werden – wem nützt eine Lobhudelei aus falsch verstandenem Korpsgeist? Ein Wir-Gefühl innerhalb der Dresdner Kunstszene kann Gefahren in sich bergen.

Mathias Bäumel

Dresdner Künstler im Blick. In 190+9 Ateliers
Porträtfotografie von Gabriele Seitz
Verlag SchumacherGebler Dresden 2015,
Hardcover, 2015
350 Seiten, ca. 240 Abbildungen
ISBN: 978-3-941209-36-7
39,00 Euro

PS.: Das Bild oben zeigt die Buchtitelgestaltung des Verlages SchumacherGebler.